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Böhme-Jubiläen

Jacob Böhme (geb. 1575 - gest. 17. November 1624)

Was war ...

1724

Der Pietismus war auf dem Höhepunkt seines Wirkens. Das Interesse an Jacob Böhme war ungebrochen. Die Werke waren ins Englische und ins Niederländische übertragen worden. 1715 erschien in Hamburg die zweibändige Ausgabe der Sämtlichen Schriften, und 1730 wurde die große, in Leiden/Niederlande hergestellte Ausgabe veröffentlicht. Bei dieser Edition handelt es sich um die bis heute gebräuchliche, als Faksimile neu edierte elfbändige Ausgabe. Nach einhundert Jahren muss die Marktlage für zwei Gesamtausgaben als sehr günstig eingeschätzt worden sein. Dabei war in der Philosophiegeschichte die herrschende Epoche längst die Aufklärung geworden, die mit Jacob Böhme recht eigentlich wenig anfangen konnte. Aber vielleicht ist es auch falsch, wenn wir stets nur „Jacob Böhme versus Aufklärung“ denken. Vielleicht bezogen die Herausgeber der beiden Ausgaben ihren Optimismus aus einem anderen Aufklärungsbegriff, in dem solche Schreiber wie Jacob Böhme uns darüber aufklären, was wir an der falsch vorgetragenen Vernunft bevormundend finden.

 

1824

Die Epoche der Romantik ist in ihre Spätphase eingetreten. Das starke Interesse der Romantik an Jacob Böhme liegt bereits ein viertel Jahrhundert zurück, da 1799 Ludwig Tieck wohl als erster die Jenenser Romantiker auf den Görlitzer Philosophen aufmerksam machte. Hegel hielt in Berlin in jenem Zeitraum seine Vorlesung über die Geschichte der Philosophie mit dem berühmten Kapitel über Jacob Böhme darin. Franz von Baader liest Böhme außerordentlich intensiv und verfasst 1829 seine umfangreichen Vorlesungen über zwei Werke Böhmes, der Gnadenwahl und dem Mysterium Magnum.

Mit dem Entstehen einer „Erinnerungskultur“ in Europa setzte sich an die Stelle der direkten Auseinandersetzung mit den Themen deren historische Relativierung. Die Chronik der Ereignisse war nicht mehr dasselbe wie das zufällige Datum von runden Geburts- oder Todestagen. Dieser Paradigmenwechsel kann vielleicht als Ergebnis des Historismus angesehen werden, und seinen Beginn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Seitdem gibt es überhaupt erst eine Kultur der Jahrestage, und bei Jacob Böhme zumal.

 

1875

Erinnerungsfeier am 6. November 1875, Artikel im Schwäbischen Merkur:
    Görlitz, den 7. November. Zum 300jährigen Gedächtnis des Görlitzer Naturphilosophen Jakob Böhme wurde gestern hier eine einfache, aber würdige Erinnerungsfeier veranstaltet, zu der hauptsächlich die Innungsgenossen Böhmes, die hiesigen Schuhmacher, den ersten Anstoß gegeben hatten. Vormittags 9 Uhr versammelten sich die letzteren und viele andere hiesige Bewohner, die das Andenken Böhmes ehren wollten, auf dem Kirchof an dem geschmückten Grabe des Philosophen, wo zunächst von vier anwesenden Gesangsvereinen unter Orchesterbegleitung ein Choral vorgetragen wurde. Hierauf folgte in schlichten herzlichen Worten eine Ansprache des Schuhmachermeisters Bielicke, dann eine eben solche des Hausvaters der Herberge zur Heimath und schließlich wiederum ein Choralgesang. Am Abend fand sodann eine zahlreich besuchte Festversammlung im Saale des Gasthofes zur deutschen Eiche statt, in welcher Vorträge und Gesänge mit einander abwechselten. Lehrer Weise, der die Festrede übernommen hatte, gab in derselben einen Abriß der äußeren Lebensschicksale und der Lehren und Schriften Jakob Böhmes, während Literat Dr. D. Zacharias in einem darauf folgenden Vortrag einige Punkte der Böhme’schen Philosophie in populärer Form erläuterte. Zugleich gelangte ein von Zacharias verfaßtes Gedenkblatt zur Verteilung. Auch die Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften veranstaltete eine Erinnerungsfeier zu Ehren Jakob Böhmes, bei welcher Diakonus Schönwälder die Festrede hielt.
Schwäbischer Merkur von Samstag, dem 13.11.1875, S. 3.

 

Bereits am 6. November 1875...

... also weder zu seinem Geburts- noch zu seinem Todestag, wurde Böhmes zu seinem 300. Geburtstag gedacht. Dennoch fand die Feier an seinem Grabmal ihren Anfang, als wollte man dort das ursprüngliche Begräbnis auf diese Weise revidieren:

    „Vor einigen Wochen hat man in Görlitz das Andenken dieses merkwürdigen Mannes in anerkennenswerter Weise gefeiert. Die Innung der Schuhmacher, mit Recht stolz auf den ehemaligen Genossen ihres Berufes, hatte die Feier in die Hand genommen und alle Freunde und Verehrer Böhmes dazu eingeladen.

    Eine große Versammlung, wohl an 500 Personen, hatte sich demgemäß am genannten Tag früh um 9 Uhr am Grabstein Böhmes eingefunden. Der Stein, ein roher Granitblock, der auf der einen glattgeschliffenen Seite Böhmes Namen, Geburts- und Sterbejahr sammt dem Spruche Offenb. Joh. 3,5 in goldenen Buchstaben zeigt – vor sieben Jahren auf Veranlassung der Gelehrten Gesellschaft gesetzt – war reich mit Guirlanden geschmückt. –

    Nach dem Gesang des Liedes: ,Wie schön leuch’t uns der Morgenstern’ eröffnete der Innungsmeister der Schuhmacher die Feier des Tages mit einer Ansprache, in welcher derselbe der aufrichtigen Verehrung des durch Frömmigkeit und Wissenschaft ausgezeichneten Mannes und Berufsgenossen entsprechenden Ausdruck lieh, worauf nach kurzem Gesang der Hausvater des Evangelischen Vereinshauses, Plasnick, das Wort ergriff, um besonders eines hervorzuheben, daß Jakob Böhme ein gläubiger Christ im vollen Sinne des Wortes gewesen, der seinem Handwerk, das nach dem Sprüchwerk einen goldenen Boden hat, aufrichtig zugethan gewesen, vor Allem aber festgestanden habe auf dem goldenen Boden der Furcht Gottes. Darum gezieme es sich, an seinem Grabe auszusprechen, daß er als ein Christ gelebt und ein gutes Bekenntniß abgelegt habe, daß er geglaubt habe an das Wort des lebendigen

Gottes und im Glauben an seinen Heiland auch sein letztes Wort auf Erden gesprochen: ,Ich fahre hin ins Paradies’. – Den Schluß der Feier machte der Gesang des Liedes: ,Ein’ feste Burg ist unser Gott’, während dessen der Innungsmeister einen Epheukranz auf das Grab niederlegte, in welchem der bekannte Spruch des Angelus Silesius stand: ‚Im Wasser lebt der Fisch, die Pflanze auf der Erden, Der Vogel in der Luft, die Sonn’ am Firmament, Der Salamander muß durchs Feu’r erhalten werden: Und Gottes Herz ist Jakob Böhmes Element.’ Auch das Haus nahe der Neißebrücke, in dem Böhme gewohnt, war entsprechend geschmückt und die metallene Gedenktafel, die vor einigen Jahren Freunde gestiftet, mit Kränzen geziert. – Des Abends aber fand in einem öffentlichen Saale eine Nachfeier statt, in welcher die Bedeutung Böhmes von verschiedenen Seiten aus in längeren Reden beleuchtet wurde. Mit der Vorlesung eines Schreibens, das der bekannte Philosoph Prof. Hamberger in München gesendet, schloß die Feier.” (Hallesches Tageblatt, Samstag, 25.12.1875, S. 2)

    Eine 22-seitige „Gedächtnisrede zur Jacob Böhme-Feier” wurde am 30. November von Diakonus Schönwalder, der zu dieser Zeit der Sekretär der Oberlausitzischen Gesellschaft war, vorgetragen, die in Neues Lausitzisches Magazin 1876, 52. Band, vollständig festgehalten wurde.

 

1898

   

Der „Kommers* zur Enthüllungsfeier des Jakob-Böhme-Denkmals” stellte am 31. Oktober 1898 den Schlusspunkt der Böhme-Gedenkfeierlichkeiten in Görlitz dar, an deren Beginn das unter Leitung des Direktors Hans Gregor am 11., 13. und 14. Mai aufgeführte Theaterstück „Jakob Böhme” von Rithhack-Stahn, Diakonus zu Görlitz, stand.

    „Die Gedenkfeier für Jakob Böhme, deren Vorbereitung auf den Wunsch des Denkmals-Ausschusses und der Handwerksgenossen Böhmes in Görlitz die Comenius-Gesellschaft in die Hand genommen hat, ist in einer Reihe größerer Städte gesichert, Berlin wird vorangehen (Vortragende ist Herr Prof. Dr. Ad. Lasson), Breslau (Univ.-Professor Dr. Kawerau), Kiel (Univ.-Professor Dr. Deussen) und Magdeburg werden alsbald nachfolgen. In Berlin findet am 16. Februar eine Vorbesprechung statt, an welcher Vertreter der Stadt, der Universität, der Philosophischen Gesellschaft, der Handwerker-Innungen und der Comenius-Gesellschaft theilnehmen werden. – (. . .)” (Saale-Zeitung: allgemeine Zeitung für Mitteldeutschland; Hallesche neueste Nachrichten, Morgen-Ausgabe, Donnerstag, 11.02.1897, S. 2). Es war geplant, noch weitere Städte einzubinden.

    „Im großen Festsaal des Rathauses hat gestern eine wohlgelungene Feier zu Ehren von Jacob Böhme stattgefunden; aus heiler Haut, denn es war weder der Geburtstag noch der Todestag des wunderlichen Genies Jacob Böhme, der in seinem Leben viel zusammengeträumt hat, nur ganz gewiß das nicht, daß man ihn der deutschen Reichshauptstadt Berlin am Ende des neunzehnten Jahrhunderts als einen großen Geist feiern werde. (...)

    Wie die Nürnberger vor wenigen Jahren ihren Hans Sachs geehrt haben, so wollen nun die Görlitzer ihren nicht ganz so populären Jacob Böhme anerkannt wissen und ihm in Görlitz ein Denkmal setzen. (...) Dafür sollen im Laufe dieses Jahres in vielen deutschen Städten Gedenkfeiern abgehalten werden; Berlin hat gestern den Anfang gemacht. (...)

    Solche Gedenkfeiern haben einen nicht geringen idealen Werth; auch wenn keiner der Innungsgenossen etwa Jacob Böhmes Schriften mit irgend welchem Nutzen lesen könnte, auch wenn der theosophische Schuster selbst dem intelligentesten Berliner Schusterjungen kaum als Vorbild hingestellt werden sollte, so ist doch die Erinnerung ergreifend, daß der arme Görlitzer Schuhmachermeister durch sein Genie und seinen Eifer zu einem Schriftsteller wurde, den keine Geschichte der Philosophie übergehen kann und dessen Werke (eine Auswahl wenigstens) in alle Kultursprachen übersetzt ist. Hat es doch in England sogar eine religiöse Sekte gegeben, die von einer Böhme-Schwärmerin gestiftet und zwar gestiftet (was die Veranstalter der Feier hätten benutzen können) genau vor 200 Jahren, im Jahre 1697.” (...) (Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung, Montags-Ausgabe von Montag, den 5. 4.1897, S. 5) Eine vergleichbare Veranstaltung ist auch in Hannover am 24.10.1897 belegt. (Hannoverscher Kurier: Hannoversches Tageblatt; Morgenzeitung für Niedersachsen, Montag, 25.10.1897, S. 5)

    Das Konzept, die Gedenkveranstaltungen zu Jacob Böhme über ganz Deutschland verbreitetet zu kultivieren, wurde auch auf 1924 übertragen, parallel zu den Görlitzer Feierlichkeiten fanden zu dieser Zeit auch Veranstaltungen u. a. in Breslau und Dresden statt.

* = Kommers: vgl. unsere Wiedergabe der Lieder zur Denkmaleinweihung: weiterlesen

 

1924

In diesem Jahr fand das zweite Jubiläum zu Jacob Böhme statt. Die Bekanntheit Böhmes war im beginnenden 20. Jahrhundert gesunken. Er war Gewährsmann anarchischer Kunst geworden (Hugo Ball, Hans Arp), die Psychoanalyse konnte nichts mit ihm anfangen, nur C.G. Jung zitierte ihn wie einen Kollegen. Jüdische Philosophen nahmen den Schuhmacher ohne Einschränkung ernst, Martin Buber, Gershom Scholem und Walter Benjamin. Unter der Perspektive des Historismus ist es bemerkenswert, wenn zum gefeierten Jahrestag eine Biographie über Jacob Böhme erscheint, die erste überhaupt, die ohne Legenden und Mythisierungen auskommt, sie stammt von dem Görlitzer Gelehrten Richard Jecht.

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1974

Auch im Sozialismus schienen runde Jahrestage gern und oft gefeiert worden zu sein, war doch die marxistische Lehre prinzipiell eine historisch begründete – ob in jedem Fall zu recht oder zu unrecht steht uns hier nicht an zu bewerten. Dass Jahrestage im Sozialismus sehr wichtig waren, zeigt im Fall Jacob Böhmes, wie legitimations-süchtig die Herrschaft gewesen sein muss. Im Jahre 1974 wurde ein Zwischenschritt unternommen, der 350. Todestag…

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Was wird ...

2024

Und heute? Angesichts der Daten-Flut, die in Nullzeit mehr Informationen zur Verfügung stellt, als man zu einem Jahrestag lesen möchte, besteht die Kunst des Gedenkens in einer Reduzierung der Ansprüche, ALLES zu wissen, ALLES zu würdigen, oder in einem weiteren Sammelband, von denen es zu Jacob Böhme inzwischen unübersichtlich viele gibt, immer wieder davon lesen zu müssen, wie verdammt schwer es sei, Jacob Böhme zu verstehen. Gerade das, was sich der Datenkralle Internet entziehen kann, zumindest halbwegs, scheint wieder interessant zu werden. So zeichnet sich ab, dass auf den Görlitzer Vorbereitungsrunden für die Event-Planung 2024 / 2025 erfreulich viele kleinere Gruppen und Initiativen sich einfinden. Es ist geplant, diese einzelnen Gruppen hier vorzustellen. Angesichts der oben aufgestellten These, dass es eine Relation gibt zwischen dem Pomp großer Feierlichkeiten und der Instrumentalisierung der Gefeierten, und sei es nur, um Touristen in die Stadt zu holen, begrüßen wir die Haltung der Stadt Görlitz, auf derlei zu verzichten und das Feld uns, den kleinen unabhängigen Gruppen zu überlassen.

Wir freuen uns darauf, Ihnen von entsprechenden Plänen und Projekten an dieser Stelle weiterhin berichten zu können.

 

Die Redaktion / Klaus Weingarten

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