Rezensionen

Rezension Bauernfeind

Wolfgang Bauernfeind: JACOB BÖHME – Auf der Suche nach seiner Weltformel.

Roman, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2019, ISBN 978-3-963111143, 214 S.,16 Euro

Wolfgang Bauernfeind, Autor und langjähriger Leiter der Feature-Abteilung des RBB, hat einen Roman über Jacob Böhme verfasst, allerdings von überraschend anderer Art als die Böhme-Romane, die wir kennen. Die Erzählung, mit leichter Hand geschrieben, versammelt in unseren Tagen einige Böhme-Forscher, Mitglieder der Jacob-Böhme-Gesellschaften verschiedener Länder, anlässlich eines sensationellen Fundes in der Neißestadt Görlitz. Der "Fund" sind unbekannte handschriftliche Dokumente aus der Feder Böhmes, aufgefunden im Mauerwerk eines Renaissance-Hauses am Görlitzer Untermarkt, die den Gelehrten im Lesesaal der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften zur Untersuchung präsentiert werden.

 

Von sehr unterschiedlichen Intentionen bewegt, machen sich die Gelehrten an die Arbeit, in der Hoffnung, in den Papieren wesentliche Kommentare zu Böhmes Werk, vielleicht sogar seine "Weltformel" zu entdecken. Aber bei den Papieren handelt es sich zur allgemeinen Überraschung nicht um Ausführungen oder Erläuterungen zu Böhmes Gesamtwerk, sondern um "private" Aufzeichnungen, in denen eben all das zu finden ist, das man in Böhmes Schriften vermisst: eine Art Tagebuch, in dem der Philosophus Teutonicus als normaler Sterblicher erscheint: als Ehemann, der sich Sorgen um seine Frau, seine Kinder und seine Geschäfte macht, als Autor, der sich die Belastung durch den Streit mit dem Primarius Richter von der Seele schreibt und als Zeitzeuge, der sich als aufmerksamer Chronist des politischen Geschehens seiner Zeit erweist. Eine Parallele zu den gefälschten Hitler-Tagebüchern der 80er Jahre ist unverkennbar; trotzdem wirkt Bauernfeinds Fiktion, so "privat" manche Notizen sind ("Mir geht es nicht besser. Nun ist auch noch Durchfall hinzugekommen und Kollern im Bauch, was mich am Schreiben meiner Erinnerungen sehr hindert."), nicht abwegig oder absurd. Sie verrät zudem in vielen Zitaten eine solide Kenntnis der Schriften Böhmes, besonders der Theosophischen Sendbriefe – und der politischen Ereignisse der Epoche, die in die Katastrophe des 30jährigen Krieges führten. Und wie die Gelehrten im Roman, konfrontiert mit diesem neuen Blick auf Böhme, nun mit dem "Fund" umgehen, welchen geheimen Intentionen sie bei ihren Untersuchungen folgen, was sie sich erhoffen, das erzählt Bauernfeind auf humorvolle, geschickte Weise, die auch die Realität unserer Tage mit einschließt: durch Görlitz streifende Truppen gewaltbereiter rechter Horden kommen ebenso vor wie die Quantenmechanik und die Stringtheorie, die CIA und die "schwarzen Gefängnisse" der USA in Polen, in denen Terroristen inhaftiert und gefoltert werden. Halluzinatorische Auftritte wie der per Bahn anreisende und sich dann in Luft auflösende greise Isaac Newton und die gespenstische Erscheinung historischer Gestalten aus dem 30jährigen Krieg auf dem Görlitzer Untermarkt vollenden den Reigen, und die im "Fund" nicht aufzufindende "Weltformel" offenbart sich bei einem letzten gemeinsamen Gespräch der Gelehrten auf dem Nicolai-Friedhof vor Böhmes Grab dann auch: "…die Liebe. Sie sollte unsere Weltformel sein".

 

Summa: Wolfgang Bauernfeind hat mit seinem leichthändig geschriebenen Roman einen erfrischend unkonventionellen – man möchte fast sagen "unterhaltsamen" – Zugang zum Philosophus Teutonicus, seinem Werk und seiner Zeit eröffnet.

 

A.M. (Februar 2019)
 



 

 

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