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Rezension: Thomas Isermann: O Sicherheit, der Teufel wartet deiner

Thomas Isermann: O Sicherheit, der Teufel wartet deiner!

 

Jacob Böhme-Lektüren. Görlitz: Gunter Oettel, 2017. 398 S. ISBN: 978-3-944560-37-3

Mit seinem Buch O Sicherheit, der Teufel wartet deiner! legt Thomas Isermann seine Lektüre-Ergebnisse zu sämtlichen Einzelschriften Jacob Böhmes vor. Bereits in der Einleitung wird klar, dass es Isermanns Intention keinesfalls ist, eine Darstellung der Werke Böhmes im Sinn eines geschlossenen Systems zu verfassen. Vielmehr versucht er in seinem ambitionierten Projekt, Böhmes Schriften einzeln zu portraitieren und sie in einen für unsere Zeit nachvollziehbaren literarisch-philosophischen Diskurs zu stellen:

Lässt sich das,was Jacob Böhme in seiner Zeitbedeutete für uns in wenigen Sätzen und in unseren Worten zusammenfassen? Vielleicht so: Ihm zufolge leben wir Menschen nicht jeder für sich allein, sondern alles um uns herum „lebt“.Die vielen Augen,oft in seinen Werken symbolisch abgebildet, sind die Augen,mit denen uns heute die Tiere anblicken, die Wälder und Flüsse, die Berge, auch die Städte, die Mega-Cities, dieHochhausschluchten,mitTränendie Kriege,dieKatastrophen,die Vertreibungen. All diese Blicke auf uns, auf unser Gewissen, wirft ein Wesen, das wir „Erde“ nennen können, „Natur“, „Ganzheit“, gleichviel: Wir sind nicht die einzigen Wesen, die das Wörtchen „Leben“ für sich beanspruchen können. Lesen wir einmal ein paar Seiten Jacob Böhme, und ersetzen wir, wo es geht, das Wörtchen „Gott“ durch das Wort „Leben“ oder durch das Wort „Sinn“: Dann wird die Richtung klar, wo die Lesbarkeit dieses Naturphilosophen heute liegen könnte. (S. 20)

Mit dieser ehrgeizigen, existentialistisch-anmuteten Sichtweise versucht der Autor, Böhmes Ideen zu übertragen und sie durch seine „allgemeinverständliche Darstellung“ (S. 20) einem breiten Publikum nahe zu bringen. In diesem Sinne istder herausragendeVerdienst Isermanns eine Übersetzungsleistung, der eine intensive Recherche vorausgegangen ist.

 

Bemerkenswert ist dabei sein Talent, Böhme – sowohl als Mensch, als auch in seiner Sprache – zu kontextualisieren. So differenziert er beispielsweise zwischen Böhmes innovativem Schreibstil und dem sprachlichen Standard zu Böhmes Lebzeiten (vgl. z.B. S. 66). Nur in diesem Kontext lasse sich Böhmes dichterische Fähigkeit besser verstehen. Ein besonderes Augenmerk legt Isermann zudem auf Böhmes Persönlichkeit. Denn sie ermächtige den Görlitzer Philosophen, trotz seiner sozialen Schichtzugehörigkeit und mangelnden formalen Bildung als Laie, das Wort zu ergreifen und Schriften zu verfassen, die über die Kompetenzen eines Schusters hinausgehen. Mit psychologischem Blick wird Böhmes „Selbstdiagnose der Melancholie“ (S. 42) dargestellt und wie Böhme seine Schwermut durch sein Schreiben überwunden zu haben scheint. Die besondere Leistung Isermanns ist dabei, sich Böhme als Menschen – ohne Verklärung und Idealisierung – vorzustellen. Wohl wissend um die stereotypen Rezeptionslinien der Böhmischen Schriften – „Böhme, das romantische Genie, versus Böhme der Fanaticus“ (S. 370) – wird Isermann mit seiner teilweise unkonventionellen Interpretation zweifelsohne Bedenken herausfordern.

Böhme wird von Isermann als sehr unangepasst und teilweise schon als rebellisch aufgefasst. Das zeigt sich beispielsweise auch darin, dass er immer wieder auf die barocke Polemik Böhmes hinweist (vgl. z.B. S. 211), die dem Bild des in sich versunkenen Mystikers entgegensteht. Besonders im Kontext der Prädestinationslehre, die mehrfach thematisiert wird,widersetze sich Böhme der „reformatorische[n] Bevormundung“ (S. 161) indieser Lehre, was Isermann als eine Befreiung aus „konfessioneller Enge“ (S.192) wertet.Zudem habe seine Kritik auch psychologische implikationen: „Das Konzept der prädestinativen Erwählung aus unbekannter Gnade steht im Konkurrenzverhältnis zu seiner Berufung als Erleuchteter, als weiser Laie Christi. Seine Kritik an der Gnadenwahl legitimiert ihn als Schreiber“ (S. 245). Nicht zuletzt stellt Isermann auch Böhmes Naturverständnis als unvereinbar mit der lutherischen Doktrin des sola scriptura dar. Die „Emanzipation eines von der Theologie befreiten Seelenverständnisses“ (S. 121) verorte sich jenseits der etablierten Denkweise (seiner Zeit). Böhme wäre als gedankenschwerer Unzeitgemäßer zu bewerten, der mit seiner Weltsicht die NegativitätseinerZeitaufnimmt. Die Welt istein Ekel undderMelancholiker ihrRepräsentant. Dies fasst Isermann in dem überaus einleuchtenden Satz zusammen: „In einer schönen Welt ist der Melancholiker ein Narr“ (S. 284).

Isermanns Lektüren von Böhmes Texten, die allesamt sowohl einen Überblicks- als auch Einführungscharakter besitzen, sind durchweg von kreativen Verweisen und originellen Exkursen durchzogen. Da er die Werke Böhmes in der Chronologie ihrer Entstehung vorstellt, werden auch dessen Gedanken von ihm in ihrer Entwicklung nachgezeichnet. Dabei vermittelt Isermann seine persönliche Erfahrung bei der Lektüre des Philosophen und gibt Hinweise, die dem interessierten Laien den Zugang zu Böhme erleichtern. Die Schrift „Von dem dreyfachen Leben des Menschen“ wird als „durchdachter politisch-religiöser Essay“ (S. 107) besprochen, „Sex Puncta Theosophica“ wird den Böhme-Einsteigern ans Herz gelegt (vgl. S. 132). In der Besprechung des Mysterium Magnum weist Isermann auf eklatante Forschungslücken hin (vgl. S. 248). Es gebe zu diesem Hauptwerk keine neueren Einzeluntersuchungen.

 

Isermanns Böhme-Lektüren sind sehr gut lesbar und schwungvoll geschrieben – er verwendet nur wenige Fachtermini, die nicht im allgemeinsprachlichen Gebrauch verankert sind –, und aufgrund seiner Kontextualisierungen und Erläuterungen ist es auch möglich, Kapitel separat zu lesen, obwohl sich das Buch gleich einem Roman äußerst flüssig durchlesen lässt. Seinem ausgeprägten Gespür für Sprache ist es zu verdanken, dass man als Leser mit oft überraschenden Ideen konfrontiert wird. Besonders angenehm ist dabei Isermanns literarischer Schreibstil.

 

Böhmes Religionskritik kommentiert Isermann u.a. so: „Vielmehr steckt in jeder Kirche etwas ‚Kain-artiges‘“(S. 90); in der Nachzeichnung von Böhmes „Vernunft- und Wissenschaftskritik“ (S. 97) widmet er sich dem Unterschied von Vernunft und Verstand bei Böhme und erklärt dazu einleuchtend, warum für Böhme im Begriff der Vernunft auch das Teuflische stecke (S. 97). Schlussendlich kommt er zu dem Ergebnis: „Auf emotionales Verstehen setzt Böhme, nicht auf Vernunft“ (S. 98). Durch „vernünftigen“ Egoismus blieben laut Böhme ethisch-christliche Grundsätze auf der Strecke, und ein vernunftgesteuerter Machtwille gewinne Herrschaft in den Individuen, der von teuflischen Affekten, bestehend aus Hochmut, Neid, Gier und Geiz,angetrieben sei (vgl. S. 282-284). In diesem Zusammenhangstellt Isermann eine reizvolle Verbindung zwischen Böhmes Denken und Adornos und Horkheimers Dialektik der Aufklärung (vgl. S. 92) her.

 

Allgemein ist Isermanns Abhandlung der Mut zu bescheinigen,neue Wegezu gehen und Jacob Böhme neu zu denken. Beispielsweise diskutiert er mehrfach die Darstellung von Sexualität und erotischer Sprache bei Böhme. So werte der Görlitzer Denker in seiner Schrift „Beschreibung der Drey  Principien Göttlichen Wesens“ Sexualität als „vitale[n], unausweichliche[n] und gesunde[n] Naturvorgang“ (S. 84). Zu diesem Gegenstand bedürfe es allerdings weiterer Forschung (S. 87). Im „Anti-Stiefelius“ wiederum sei bei Böhme ein eher negatives Bild von körperlicher Sexualität und Erotik zu entdecken, das sich aber „in sublimierter Form von ihrer Körperlichkeit zu lösen [scheint]. Im Kreis gleichgesinnter Männer erhält sie platonischen Ausdruck“ (S. 189). Weiterhin attestiert Isermann Böhme eine zuweilen „hocherotisierte Sprache, die ihn als einen manieristischen Lyriker zeigt“ (S. 211). Zudem setzt er sich mit dessen durchaus arbiträren Darstellung „einer platonisch erotisierten Sophien-Minne“ (S. 213) auseinander. In Böhmes Sendbriefen besonders an Christian Bernhard glaubt Isermann eine an „sublime Homoerotik“ erinnernde Bilderebene (S. 344) zu entdecken. Auch in Bezug auf diesen Kontext istes seinem verdienstvollenBuch zu verdanken, dass er das Potential von Böhmes Schriften für mögliche neue Forschungsfelder, wie Geschlechterstudien und Queer-Studies, sichtbar werden lässt.

 

Allgemein macht der Autor sehr deutlich, wie aktuell Böhmes Denken immer noch ist. So vergleicht er – auf durchaus humorvolle Weise – die alttestamentarische Geschichte von Josef und seinen Brüdern mit zeitgenössischen Migrationsprozessen. Böhmes Werk durchwehe eine sich an den „Skandalen des Erzählten“ immer wieder entzündende „Friedenssehnsucht“ (vgl. S. 267f.). In Bezug auf den Toleranzgedanken, ein häufig wiederkehrendes Motiv bei Böhme (z.B. S. 290), präsentiert Isermann Böhmes Sichtweise von der Ebenbürtigkeit verschiedener Glaubensrichtungen, resultierend aus Böhmes sozial- und theologiekritischem Denken.

 

Isermanns humorvolle Art, an die Texte heranzugehen, zeigt sich im übrigen auch im Kapitel über die „Schutz-rede, wieder Gregorium Richter“, in der er teilweise die Sicht des Görlitzer Oberpfarrers einnimmt, der Böhmes „lockere[n] Weg zum rechten flockigen kuscheligen Privat-Glauben“ (S. 311) attackiert. Derlei Formulierungen können mitunter ebenso erfrischend wie kurzzeitig irritierend sein; so etwa auch in folgendem Zitat: „Die Görlitzer mochten ihn [Jacob Böhme]. Sie mochten ihn so sehr, dass sie ihn aus der Kutsche zerrten und in eine Pfütze warfen“ (S. 13). Hier wäre es wünschenswert gewesen, wenn der Umgang der Görlitzer Bevölkerung mit ihrem besonderen Mitbewohner ein wenig mehr mit weiteren Beispielen unterlegt worden wäre.

Isermann vermerkt, dass Böhmes Denken als ein „Aufbegehren gegen allzu rationalistische Denkweisen“ (S. 17) rezipiert wurde. Zum Abschluss gesteht Isermann selbst, dass seine Interpretationen, die nicht nur auf einem philosophischen Diskurs beruhen,eine potentielle Dissonanz zu Böhmes Absichten darstellen: „Mit der Aufnahme Böhme als Dichter aber beginnen wir, Böhmes eigenen Anspruch zu hintergehen“ (S. 362). Dies schmälert jedoch nicht die Leistungen Isermanns. Das Gegenteil ist der Fall, denn zuletzt bleibt der Eindruck, dass er mit seinem umfangreichen Werk O Sicherheit, der Teufelwartet deiner! sehr vielMutbewiesen hat.Bei einer offenen Leserschaft, die etablierte Deutungsmuster infrage stellen kann,  bleibt die Lust auf eigene Böhme-Entdeckungen und die Exploration von Böhmes Denken für andere Forschungsfelder. Vielversprechende Anhaltspunkte dafür hat Isermann in seiner Schrift zur Genüge geliefert.

Tobias Schlosser

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