Über die Werke

Von Christi Testamenta (zwei Fasssungen)

Von Christi Testamenten

Testamente als Testfall

Dieser Traktat Böhmes behandelt zwei zentrale Fragen christlicher Glaubenspraxis, deren Beantwortung die Trennlinien zwischen den christlichen Konfessionen am schärfsten zeichnet. Taufe und Abendmahl als gemeindestiftende Rituale unter den Glaubenden sind diese „Testamante“, wie die Bezeichnung um 1600 für diese religiös-notarielle Beglaubigungen einer Aufnahme lautet. Für religiös Außenstehende bliebe dieser Text weithin unzugänglich, ließe sein Verständnis sich nicht vor dem Hintergrund der Reformation historisch etwas kontrastieren. Neben der „Gnadenwahl“ gehört dieses Werk, rund einhundert Seiten umfasst es, zu den konzentrierten und klar formulierten Texten Böhmes, obgleich in einer Hinsicht Fragment geblieben.

 

Die Schrift besteht aus drei Abschnitten (Büchern): Über die Taufe, über die Taufe in einer zweiten Fassung, über die Theorie des Abendmahls. Die Herausgeber der Schriften von 1730 geben im Editionsbericht den Hinweis:

 

„Dieses vollendete der Autor im Jahre 1624, worinnen er auch das 2. Büchlein von der Tauffe für die Einfältigen, aufs neue zu schreiben angefangen, aber wegen angewachsener mehrern Arbeit und anderer Vorfälle nicht zu Stande bringen können.“ (Ausführlicher Bericht VI; 44)

 

Wir haben das Buch über die Taufe demnach aus einem bestimmten Grund in zwei Versionen, wobei die zweite Version abgebrochen worden ist, mitten im Satz. Die Herausgeber schließen das Fragment der zweite Fassung mit der

 

„Nota: So weit ist des Autoris H. Feder damit gekommen, als GOtt es gefallen diese Arbeit zu unterbrechen, um anderweitig das theure Talent auf Wucher zu legen, darüber dieses Büchlein nie vom Autore wieder fürgenommen worden, es zu vollenden.“

 

Da das Werk in Böhmes Handschrift überliefert ist, liegt ein Blick in das Manuskript zur Klärung des Abbruchs nahe. Der Herausgeber der in den Handschriften überlieferten Werke, Werner Buddecke, vermutet verschiedene Gründe, warum Böhme die zweite Fassung über die Taufe abgebrochen hatte: Äußere Umstände wie einer zunehmenden Reisetätigkeit in den letzten Monaten seines Lebens; die zunehmende psychische Belastung durch die perfiden Vorwürfe und Angriffe seitens des Görlitzer Oberpfarrers; die Dringlichkeit, diesem offiziellen Geistlichen in einer Schutzrede schriftlich zu antworten (vgl. Ausführungen zu „Apologia“). Letztlich wird eine Rolle spielen, dass Böhme, so Buddecke, auch mit weiteren Abhandlungen beschäftigt gewesen sei, die das Interesse Böhmes an diesem kleinen Werk schlicht überdeckt haben könnten. Die Handschrift enthalte „auffallende Flüchtigkeiten: es sind offenbar Anzeichen der äußeren Unruhe, der Böhme in der letzten Zeit seines Lebens ausgesetzt war.“ (1) Freilich spielen diese Gründe ihre Rolle. Bemerkenswert ist dabei, dass Böhme fast alle Schriften von 1624 unvollendet hinterließ: Die „Betrachtung göttlicher Offenbarung“, das „Gebeth-Büchlein“, der „Clavis oder Schlüssel“ (vgl. die jeweiligen Ausführungen) und eben die „Testamenta Christi“ sind abgebrochen worden. In Relation zu den erkennbaren Konzepten dieser Schriften wären es allesamt sehr umfangreiche Werke geworden, und das ist ein entscheidender Punkt. Das Raster von sagenhaften 177 Fragen in der „Betrachtung göttlicher Offenbarung“ wäre in der Beantwortung problemlos umfangreicher geworden als das „Mysterium Magnum“. Dem „Clavis“ hängen Konzeptstichworte dreier seiner Freunde an, die, wären sie ausgeführt worden, ebenfalls ein gigantisches Werk ergeben hätten. Die abgebrochenen Werke sind Fragmente eines gründlichen Neuansatzes mit terminologischen Neuerungen, einer größeren Nähe zur jüdischen Kabbala, in noch schärferer Abgrenzung zur Institution Kirche. Die strategische Funktion dieser Schrift von den „Testamenta“ passt zur Vermutung eines generellen Neuansatzes im Werk Jacob Böhmes:

 

Im Brief an Carl von Endern vom 7.5. 1623, also bereits ein Jahr vor dem Abbruch, wenn die Datierung stimmt, erwähnt Böhme seine Absicht, mit einer zweiten Fassung das Werk neu zu schreiben „…im Vorhaben das Büchlein in eine kindlichere Form, zum mehrerm Verstande der Einfältigen, zum Drucke zu bringen…“ (1 Testa Zuschrift) In der Handschrift lautet die Titelergänzung der zweiten Fassung: „und den kindern Gottes zu verstendlicher untter weisung vorgestellet“. (2) Die Druckfassung enthält in der Titelei den Hinweis: „Für die Einfältigen“ (2 Testa Titelei)

 

Weiteres Kennzeichen des Spätwerkes ist, dass alle einzelnen Schriften intendieren, deutlicher zu werden, sich verständlicher auszudrücken, Fragen zu beantworten, Übersichtsgrafiken und Tabellen zu erstellen (vgl. Ausführungen zu den „Tafeln“), insbesondere auf Anregung und Bitten der Freunde, die gewiss – wie jeder Leser der Schriften Böhmes – ihre liebe Not hatten, alles zu verstehen, was Böhme meinte. Die Fragensteller zu den anderen Werken jedoch sind teilweise selbst Akademiker oder humanistisch Gebildete (Balthasar Walter, Friedrich Krause, Abraham von Franckenberg, Gottfried Freudenhammer oder Tobias Kober, Cornelius Meißner), und keine „Einfältigen“, wie Böhme seine Zielgruppe hier – und nur hier – bezeichnet.

 

Böhme wendet sich mit der Schrift von den Testamenta Christi an jedermann, gar an bürgerliche und wenig gebildete Gemeindemitglieder (in Görlitz): mithin an diejenigen, vor denen der Görlitzer Oberpfarrer den Schuhmacher Jacob Böhme als inkompetent bloßgestellt hat.

 

Mit diesem Text haben wir den einzigen Fall, in dem von Böhmes Handschrift zwei Fassungen einer Schrift  vorliegen, und zudem ein weiterer Fall, in dem Böhme sich ausdrücklich um Einfachheit bemüht. (4) Nähere Aufschlüsse können sich durch einen Vergleich beider Fassungen über die Taufe ergeben, jedoch nicht im Rahmen dieser Einführung, in der wir uns auf die groben Linien beschränken.

 

Böhme erklärt seinen Begriff von den Testamenten als eines Themas für Eingeweihte:

 

„Christi Testamenta sind der Vernunft ohne Göttlich Licht ein verschlossenes, aber den wahren Kindern Christi ein aufgethanes Buch. Christi Testamenta sind ein Siegel des festen, ewigen Bundes GOttes, damit GOtt die Menschen, nach dem schreckliche Abfall, wieder zu Gnaden angenommen (…) hat.“ (Testa Vorrede; 5)

 

Darüber hinaus akzeptiert Böhme bloße Bekenntnisse nicht. In scharfem Ton fordert er, hier gar mit einem gewissen Ton der Ungeduld, dass erst konkretes Handeln die religiöse Akzeptenz rechtfertige, was auch immer ihr Inhalt sei, und kein theoretisches Kopfnicken:

 

„Anders ist kein rechter Mund zu solcher Niessung (Genuss, Nutzen – TI) : Es muß ein rechter ernster Vorsatz seyn, den besudelten Rock auszuziehen, und wollen in ein neues Leben treten; Thun, Thun muß es seyn, oder es gilt nicht.“ (Testa Vorrede; 12)

 

„Ein Lehrer soll nicht allein nur um des Lohnes willen lehren, sondern wissen und wol bedencken, daß er alda an Christi Stelle stehet, und daß Christus durch ihn lehren will; so er aber ein rechter Hirte ist.“ (Testa Vorrede 15)

 

Sehr allgemein bezeichnet Böhme den Durchführenden von Taufe und Abendmahl als Lehrer, und vermeidet die Bezeichnung Pfarrer oder Priester. Die Berufenen müssen nicht von Amts wegen, sondern gleichsam unsichtbar qualifiziert sein:

 

„Es ist nicht genug, daß mans nur weiß, daß Christus für die Sünde gestorben ist, und deme Beyfall gibt und es für wahr hält, und die Genugthuung als ein geschehenes Werck annimt: Nein, nein, es ist kein solches Nehmen; sondern der gantze Mensch muß sich darein ergeben, und des bösen, natürlichen, eigenen Willens, samt der falschen Lust, in Christi Tod wollen sterben. (…) Hierzu gehöret nun nicht grosse Kunst oder Wissenschaft, sondern nur kindliche Einfalt und Demuth.“ (Tessta Vorrede; 22 f.)

 

Die Zweite Fassung fährt an dieser Stelle etwas drastischer fort:

 

„Der Bauer ist deme so nahe als der Doctor, sie müssen alle in die Einfalt Christi (…). Es darf keines grossen Spekulirens darzu, mit was zierlichen Worten oder Gebärden man darzu kommen wolle (…). Welcher viel gelernet hat, und weiß, wie er sich soll darzu schicken, ist GOtt nicht angenehmer, als der, welcher nichts weiß, und sich aber mit gantzem Hertzen und Seele in Reue seiner Sünden zu Ihme wendet (…).“ (Vorrede; 23ff)

 

Wie wendet Böhme nun diese standesübergreifende und unhierarchische Möglichkeit egalitärer Aufnahme in Christi Gemeinde an:

 

 

 

Die Taufe der Einfältigen

 

„Ein wahrer Mensch aber, welcher recht im Bildniß GOttes stehet, hat keinen Streit in der Religion: Dann er lebet in seinem Grunde welcher ihn mit Seele, Geist und Leib, mit aller Substanz hat in ein Bild formiret; Er will und thut mit ihme, er ist in demselben gelassen, und ergibt ihm seinen Willen, derselbe speiset und nähret ihn auch. Eine iede Eigenschaft des wahren gelassenen Menschen wird mit ihrer Gleichheit genehret (…)“ (1 Testamenta 1;14)

 

Die Frage bei Taufe und Abendmahl stellt sich fundamental: Wer darf eigentlich taufen, wer das Abendmahl durchführen und Brot und Wein herumreichen? Die Legitimität des Taufenden ist Böhmes erstes Anliegen der überlieferten Kapitel. Zunächst befähigen den Taufenden die Tugenden, die für Böhme einen guten Christen ausmachen. Was dies alles ist, wird hier zu einer Idealgestalt zusammengetragen, deren Charakteristika er in zahlreichen Partien seiner Werke benennt, reflektiert und begründet, die ganzen Werken den Titel geben: erleuchtete Seelen, Gelassenheit, es sind demütige Menschen, die ichlos sich in die Tugenden und die Gestalt des „Wort“ gewordenen Jesus Christus eingesenkt haben. Zu kirchlich institutioneller Kompetenz fällt kein Wort, keines zur Priesterausbildung, keines zu rituellen Formeln oder Zeremonien. Der Taufende muss zuallererst und fast ausschließlich fest glauben. „Ein ungläubiger Tauffer thut nichts mehr bey diesem hohen Wercke der Tauffe, als der Tauffstein thut, welcher das Wasser hält (…).“ (1 Testa 4;12) Dies gilt auch für die Eltern des Täuflings. Wenn nämlich ein Kind vor dem Tauftermin stirbt, was bei der gewiss hohen Sterberate von Säuglingen um 1600 nicht unwichtig gewesen sein wird, ist es trotzdem von Gott angenommen, da ja die Eltern getauft sind.(vgl. 1 Testa 4; 16) – „Darum sage ich, ists ein fährlich Ding, Kinder tauffen ohne Glauben der Eltern, und derer so da tauffen, und dem Wercke beywohnen.“ (1 Testa 4;49) „Dann die Tauffe ist anders nichts, als eine Ehe oder Verbindniß mit GOtt auf Christi Blut und Tod (…)“ (1 Testa 4;23)

 

„Mehr hat ein solches der Täuffer in Gewalt, der stehet auf Christi Befehl an Christi statt alda, und führet in seinem Munde den Befehl Christi, und tauffet mit seiner Hand auf Christi Befehl. Dieser soll ein Gesalbter Christi seyn, und durch die Thür Christi zu solchem Wercke treten, oder ist nur ein Holtz oder Kloß, als ein irdisch Mittel dabey, und tauffet selber nicht mit seinem Glauben mit, sondern ist nur ein äusserlich Werckzeug des Bundes, wie das Beil, da der Zimmermann mit hauet (…).“ (1 Testa 4;27)

 

Die zweite Fassung des ersten Teils von der Taufe, der also, der sich noch direkter an die „Einfältigen“ wendet, wird in diesen Punkten noch deutlicher. Der Stil ist sehr einfach gehalten, mit nur wenigen Fremdworten, und kennt keine Schachtelsätze. Hier ein Beispiel:

 

„Man soll freundlich mit einander conferiren, und je einer dem andern seine Gabe und Erkentniß in Liebe darbieten, und miteinander probiren, und das Beste behalten. Einander freundlich unterrichten, und nicht also in eigenem Wahn stehen, als könne man nicht irren; Sintemal wir einen mächtigen Feind wieder uns haben, welcher der Menschen Sinnen bald in fremde Bilder einführet, und den Menschen trotzig machet: daraus Secten und Spaltungen entstehen.“ (2 Testa 1;17)

 

Die Menschen zur Zeit des Alten Testaments konnten auch Erlösung finden, da Jesus zu den ewigen Schöpfungsprinzipien gehört, die immer schon vorhanden waren. Nicht weniger als die Erlösungsfähigkeit von Juden und Heiden hält Böhme hier für möglich, ein Umstand, der dem Mittelalter und dem Katholizismus noch undenkbar war: Es konnte kein Heide VOR dem Erdenleben Jesu Christi, und sei er noch so selig und gut, in den Himmel kommen, noch bei Dante war den Heiden dies kategorisch nicht möglich. Für Jacob Böhme ist dies kein Problem mehr: 

 

„Mit solchem Glauben (des alten Testaments – TI) sind die ersten Menschen vor Christi Zeiten, ehe sich Christus in diesem eingeleibten Gnaden-Bunde offenbarte, und Mensch ward, ins lebendige Wort GOttes, als in die Gnade eingefasset worden, darinnen ihre Seele  ist in Göttliche Ruhe kommen: Bis Christus dieses Vorbild erfüllete, und vom Tode aufstünde, so ist er auch mit seinem Leben und Wesen in ihnen, als in ihrem inwendigen Grunde des himmlischen Theils, welches in Adam verblich, auferstanden und offenbar worden, und haben Christtum in der Seelen und Geiste angezogen (…).“ (2Testa 2; 19)

 

 

 

Das Abendmahl als Streitthema

 

Was ist und bedeutet das Abendmahl? In jener Szene, in der Jesus Christus mit seinen Jüngern am jüdischen Passafest einen Tag vor seiner Gefangennahme zum Mahl beisammen sitzt, nimmt Christus ein Stück Brot, teilt es und gibt es den Jüngern mit den überlieferten Worten: Nehmt, dies ist mein Leib. Dann nimmt er einen Kelch, der in der Überlieferung mit Wein gefüllt war, und reichte auch diesen herum und sagte, trinkt, dies ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird. (5) Die genauen Worte variieren etwas bei den drei Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas. Auch unterliegen sie in der Übersetzungstradition historischem Wandel. So übersetzt Martin Luther statt „Bund“ (in moderner Übersetzung) mit der Formulierung: „Das ist mein Blut des neuen Testaments, welches vergossen wird für viele, zur vergebung  der sunden.“ (6) Dieses lutherische Übersetzungswort vom „Testament“ gibt Böhmes Schrift den Titel. „Christi Testamenta“, als Plural,  meint Taufe und Abendmahl als die wichtigsten Beglaubigungen Christi, dass, wer in dieser Gemeinde-Szene anwesend ist, eben auch dazu gehört. Der Akt der Beglaubigung ist im Fall des Abendmahls die Aufnahme von Brot und Wein als Leib und Blut von Jesus Christus. Das ist, in möglichst wenigen und neutralen Worten gesagt, das Abendmahl. An ihm entzünden sich umfangreiche Deutungen, die in der Geschichte des Christentums zu den zentralen Themen überhaupt gehören. (7) Für die Bildung von Gemeinden, für die Kollektivierung des Glaubens, seine Weiterverbreitung und Aufnahmerituale ist das Abendmahl wohl ebenso wichtig wie das Sklandalon der Kreuzigung, die als Ereignis zwar populärer ist, dafür auch plakativer und weniger geheimnisvoll wie das Abendmahl. Denn wie ist diese Einverleibung vorzustellen: Wer darf an der Zeremonie teilnehmen? Hier fällt die Antwort noch leicht: wer zuvor getauft wurde. Ist das Brot und der Wein körperlich stellvertretend für den Leib Gottes auf Erden? Ist er es buchstäblich? Ist er es symbolisch? Welche Qualität haben Brot und Wein? Überlebt in der Zeremonie ein historischer Rest von Kannibalismus, wie Ethnologen mutmaßen? Wer darf statt Christus selbst die Zeremonie durchführen, bzw. wie qualifiziert die Person sich? Wie konnte Christus selbst diesen Vorgang gemeint haben: Wenn die Hostie sein Leib IST, so sitzt er ja mit seinem konkreten Leib neben den Jüngern, so dass durch die Szene bereits eine Unterscheidung des Leibes und des Brotes konzediert werden muss? In jedem Fall stellt diese Szene wohl das Urbild christlicher Vergewisserung dar, eine Gemeinschaft zu sein. Jesus Christus wird hier sozusagen auf die Gemeinde aufgeteilt. Dem rationalen Verständnis begegnet dieses Thema leicht als eine Überforderung.

 

 

Um 1600 stehen die Christen in Mitteleuropa unter dem Eindruck der Glaubensspaltung, die mit der Reformation knapp 100 Jahre zuvor eingeleitet wurde. Ein zentrales Thema dieser Glaubensspaltung ist vordergründig eben das Abendmahlverständnis, das sich grob gesagt in drei Parteien teilte: die katholische Definition und Zeremonie der „Eucharistie“, der feste lutherische Standpunkt zum Abendmahl, sowie die liberalere calvinistische und zwinglianische Interpretation. Innerhalb des reformierten Lagers konfligierte der Abendmahls-Streit auf dem Marburger Religionsgespräch 1529, auf dem der Versuch unternommen wurde, die reformierten Lager - gegen die katholische Macht - auch politisch zu vereinen, aber gerade die Interpretation des Abendmahls wurde zum Anlass, den Graben eher noch zu vertiefen. Zwingli und weitere Reformatoren meinten, Brot und Wein „bedeuten“ Leib und Blut Jesu Christi, die Darreichung in der Messe sei also der geistige oder symbolische Akte der Glaubenden. Martin Luther als Wortführer der Wittenberger Fraktion bestand darauf, dass das Brot nicht den Leib bedeute, sondern „ist“, ebenso das Blut. In der Bibel stehe, so Luther, „dies IST mein Leib, die IST mein Blut“, also gebe es – auch gegen alle „Vernunft“ – keinen Interpretationsspielraum. Von hier versteht sich das lutherische „sola scriptura“, nur die Schriften der Bibel zählen. Was dort stehe, gebe den Ausschlag, nicht was die selbst Berufenen daraus machten. Dass gerade die Evangelien hier uneinheitlich überliefern, heizt die Debatte freilich eher noch an. (8)

 

Für das Verständnis der Werke Jacob Böhmes ist dieses Thema des Abendmahls aufschlussreich, indem an ihm deutlich wird, welche Linie er zeichnet, welche Position er einnimmt, was wiederum Rückschlüsse zulässt für seine Position in der nachreformatorischen Zeit.

 

Im ersten Kapitel des dritten Teils der Testamenta Christi, der vom Abendmahl handelt, beginnt Jacob Böhme mit der jüdischen Tradition des Passafestes, zu dessen Anlass sich Jesus mit den Jüngern ja getroffen hatten. Auf diesem Fest pflegt der Hausvater die Geschichten vom Exodus, 2. Buch Mose, vorzulesen oder zu erzählen, und es wird das Lamm gegessen (3 Testa 1;1) (9):

 

„Und sie sollen von seinem Blut (des Lammes – TI) nehmen und beide Pfosten an der Tür und die obere Schwelle danit bestreichen an den Häusern, in denen sie’s essen.“ (2 Mose 12;7) Böhme kommentiert:

 

„Welches ein Vorbild des Neuen Testaments war, wie die Pfosten und Thüren unsers Lebens sollten mit dem Blute des Lammes Christi bestrichen werden, auf daß uns GOttes Zorn in Seele und Leib nicht in seinem Grimme verschlinge…(…).“ (3 Testa 3;2)

 

Mit dieser Parallele zwischen der fluchtbereiten jüdischen Gemeinde in Ägypten und der sich bildenden ersten christlichen Gemeinde führt Böhme die Zusammenhänge ein, gemäß seiner werkumspannenden Parallele zwischen Altem und Neuem Testament, und verleiht damit den jüdischen Bezügen hinsichtlich der Bedeutung des Abendmahls ein interpretatorisches Gewicht, das den Spitzfindigkeiten im innerchristlichen Abendmahlsstreit die Grenzen weist:

 

„Dieses sehen wir klar beim letzten Abendmahl Christi, daß Christus mit der Einsetzung des Neuen Testamentes (Luthers Übersetzung für Bund – TI) nichts fremdes oder neues ordnen wollte; sondern nur das Alte Testament erfüllen, und sich selber mit der wesentlichen Gnade, welche in seiner Seelen und Fleische war Mensch geworden, in den Bund des Alten Testaments eingeben, und selber die Erfüllung, als das Opfer-Lamm, und das heilige Brot und Fleisch seyn, dadurch unser recht adamischer Mensch gesegnet würde.“ (3 Testa 2;23)

 

Sodann zitiert er die Passagen des Abendmahls in Luthers Übersetzung, und führt im dritten Kapitel die Bedeutung für die christliche Gemeinde aus. Böhme, wie überall in seinen Schriften, trennt die Gestalt des Jesus Christus in der Schöpfung von seiner „Wortwerdung“ auf der Erde (vgl. Ausführungen zu „Menschwerdung“). Das kommt ihm im Abendmahlsverständnis zugute. Brot und Wein, so Böhme, SIND das GEISTIGE  Wesen Jesu Christi, sein konkreter Leib ist, wie der Leib aller Menschen, vergänglich:

 

„Christus hat seinen Jüngern nicht die gebildete, creatürliche, äussere, begreifliche, fleischliche Menschheit gegeben, als etwann ein Stück derselben: Nein, das bewähret sich nicht, dann Er saß bey ihnen am Tische, und zerriß nicht das gebildete Wesen seines Leibes; sondern er gab ihnen die geistliche Menschheit, als die Kraft seines Leibes und Blutes, seine eigene Mumiam (Mumie – TI), darinnen die Göttliche und menschliche Kraft verstanden wird (…)“ (3 Testa 3;2)

 

Als Vergleich zieht er das Bild der Sonne heran, die fest an ihrem Ort sitzt, gemäß des neuen, heliozentrischen Weltbildes, „und dringet aber mit ihrem Scheine, Kraft und ganztem Wesen, mit alle dem was sie an Essentz, Kraft oder Wesen ist, aus sich aus in die gantze Welt (…). (3 Testa 3;3) „Also ingleichen ist uns auch von Christi Testament zu verstehen, dann Er ist die Sonne des Lebens, und das Licht der Welt.“ (3 Testa 3;5)

 

Wir ahnen die Tendenz, dass die kategorische Position Luthers hier nicht bezogen wird, und noch etwas ist im weiteren Verlauf aufschlussreich: Während die drei Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas, wie oben genannt, mit geringen Abweichungen in der Wiedergabe der Worte Christi davon sprechen, das Brot IST der Leib, und der Kelch (der Wein) IST das Blut Christi, fehlt diese Szene im Johannes-Evangelium ganz. Stattdessen heißt es dort in einer gewissen bildhaften Ausführlichkeit gegenüber dem Brot, das Gott den Juden ermöglicht: „Ich bin das Brot des Lebens.“ (Joh. 6;35)

 

„Darum soll man unterscheiden den Leib des HErrn und sein Blut, von dem animalischen Menschen ohne Glauben, und empfähet nur das Gerichte unter Brot und Wein, dann wie der Mund ist, also ist auch die Speise im Munde.“ (3 Testa 3;26) Ausführlich und fast demonstrativ zitiert Böhme die langen, philosophisch anregenden Passagen zum Thema bei Johannes, diejenigen bei den anderen Evangelisten jedoch kaum. Er schließt seine Interpretation recht deutlich:

 

„Die Vernunft soll uns recht verstehen: es hat nicht den Verstand, daß sich Christus mit seinem Fleisch und Blute, mit dem groben tödtlichen Fleisch und Blut des Menschen vereinbaret, welches Fleisch und Blut kein nütze ist, Joh. 6. Sondern nur als Behalter (Behälter – TI) oder Schale des rechten geistlichen Menschen ist; Vielweniger mischet sich das Göttliche Wesen mit Brot und Wein, daß wann ich das gesegnete Brot und Wein ansehe, und in den irdischen, tödtlichen Mund einnehme, ich wollte dencken, ich fassete Christi Fleisch und Blut mit meinem Angriffe des fleischlichen Mundes, wie ich Brot und Wein darmit fasse.“ (3 Testa 3;33)

 

Fast klingt es, als seien die Hostien zu edel, als dass sie vom profanen Mund des Menschen verspeist zu verdienen werden. Die Vergeistigung des Vorganges des Abendmahls als eines symbolischen ist bei Böhme nicht zu verkennen. Damit stellt sich die nächste Frage, die nach der Rolle des Priesters. Er reicht als Vertreter Christi die Hostien. Darf er dies? Weiter gefragt: Mit dem Abendmahl verbindet sich im Christentum  auch die Vergebung der Sünden, die Absolution. Dies war – in Form der Debatten um den Ablasshandel – das große Politikum der Reformation, und bei Böhme und in seiner Zeit kaum weniger wichtig für die Frage der regionalen Konfessionszugehörigkeit. Denn wie verträgt sich das Abendmahl mit den regional wechselnden und im Dreißigjährigen Krieg sich ständig ändernden Konfessionszugehörigkeiten der Gemeinden? Hier wird Böhme indirekt politisch:

 

„Der Priester hat keine Gewalt, Sünde zu vergeben, es stehet nicht in seiner eigenen Macht; die Macht ist in der Ordnung Christi: Christus im Menschen, so ferne Er auch im Priester selber ist, vergibt dem bußfertigen Gewissen die Sünde; Die Absolution ist nur ein Mittel, als ein äusserlich Zeichen darzu, daß wir uns in Liebe und hertzlicher Vergebung aufnehmen, und wieder in der Liebe des Bandes Christi in seiner Braut (der Sophia – TI) verbinden, und uns versöhnen, und in Liebe einander in die Gemeinschaft des Leibes, als der Braut Christi, einnehmen.“ (3 Testa 4;16)

 

Die göttliche Konspiration zwischen Christus und den Menschen findet gleichsam unterhalb der Autoritätsinstanz des Priesters statt, und andererseits steht der Priester unterhalb der wahren Brüderschaft der sich gegenseitig Absolution erteilenden Glaubenden. Diese Position ist entschieden weit entfernt von der katholischen Position und auch weit entfernt von der lutherischen, wenn zudem bedacht wird, dass dies ein machtloser Laie schreibt, machtlos im Sinn institutioneller Herrschaft und Legitimation.

 

Zum Ende der Schrift wird Böhme zunehmend kirchenkritischer, als entgleise ihm das Werk zum Pasquill. Enden seine Werke für gewöhnlich eher versöhnlich oder euphorisch, so wirkt das letzte Kapitel schon in der Überschrift aggressiv: „Vom Zanck und Streit der Gelehrten, um Christi Testamenta; was sie damit thun, und was davon zu halten sey?“

 

Hier erweist sich, was Böhme mit den „Einfältigen“ meint, denen besonders er die zweite Fassung über die Taufe gewidmet hat: Die Auseinandersetzung mit Lehrmeinungen zielt nicht auf eine avancierte Platzierung zwischen ihnen, Böhme weiß, dass er damit keine Chance hätte, sondern er schreibt seine Auffassung „zum Trost der einfältigen Kinder Christi, welche man also irre führet, und in Meinungen einschleust, und vom wahren Verstande abführet in Zanck …“. (3 Testa 5;1) Die „Einfältigen“ sind die Verführten, deren Partei er ergreift, nicht gegen eine bestimmte andere, sondern gegen Streit überhaupt.

 

Festzuhalten ist, dass in diesen Passagen des Trostes dem Priester, Pfarrer oder sonstwie konfessionellen Glaubensvertretern keinerlei positive Bedeutung mehr zukommt. Mit fast allen Themen kann Böhme sich philosophisch beschäftigen, ohne der Kirche als Institution direkt zu begegnen, jedoch das Abendmahl ist DAS Thema kirchlicher Autorität in Ausführung, Interpretation und Absolution. Daher greift Böhme hier an. „Christi Testamenta sind anders nichts, als ein Verbindniß zwischen GOtt und Menschen, eine gliedliche Vereinigung der Menschen-Kinder (…)“ (3 Testa 5;2), ohne Beteiligung einer Kirche. Böhme scheint es nicht auf die Leitinstanz der Kirche anzukommen, sondern auf die innere Haltung eines jeden:

 

„Ist Christus bey und in einem Menschen offenbar, so hat er keinen Zanck noch Streit mit jemanden um die Erkentniß und Wissenschaft; sondern er ist demüthig, und achtet sich aller solcher Wissenschaft unwürdig: er schmähet niemand um der ungleichen Gaben willen, sondern liebet sich mit allen, und lässet iedermann das Seine, und gibt seinen Nächsten nur seinen Liebe-Willen, und dencke wie er möge ein Glied Christi und seiner Brüder und Schwestern seyn.“ (3 Testa 5;4)

 

Dieser freundliche, aber indirekte Schmäh steigert sich zum Vorwurf der Teufelei:

 

„Daß man aber in so viel Meinungen lauffet, und darinnen streitet und zancket, und einander um der Buchstaben willen schmähet, verachtet und dem Teufel gibt; da soll der einfältige Christ wissen, daß in allen solchen Streiten kein wahrer Verstand ist, sondern eitel Hoffart und Antichristliches Wesen, eine jämmerliche Verwirrung der Worte Christi, da nichts anders daraus entstehet, als Uneinigkeit, Unheil, Feindschaft: und geschiehet hiemit anders nichts, als des Teufels Wille.“ (3 Testa 5;5)

 

 

Anmerkungen:

(1)    Jacob Böhme: Die Urschriften. Hg. von Werner Buddecke. Ebenda.

(2)    Vgl. die jeweiligen Ausführungen zu diesen Werken

(3)    Buddecke Band 2, S. 281

(4)    Die Hinweise in Böhmes Briefen, dass seine Werke oft schwer zu verstehen seien, zeugen vom Problembewusstsein Böhmes in diese Punkt. Mehrere kleine Schriften des Spätwerks entstehen aus den Bitten der Leser, Böhme möge sich erklären. Ein Werk aber direkt für „Einfältige“ zu schreiben, ist im Gesamtwerk eher singulär.

(5)    Vgl. Matthäus 26;26f, Markus 14; 22ff, Lukas 22;19f

(6)    Die Luther-Bibel von 1534, Matthäus 26, Seite XIX. Reprint Köln 2002

(7)    Zahlreiche Lexikonartikel oder Monographien geben Auskunft. In Griffnähe lag mir: Abendmahl. Zeitgenössische Abendmahlsdarstellungen. Katalog. Hg. v. Horst Schwebel. Kassel 1982. Erste Orientierung bietet Wikipedia zum Stichwort Eucharistie

(8)    Eine ausgezeichnete Darstellung des Marburger Religionsgesprächs bei: Gerhard Wehr: Umstrittene Reformation. München 1983. S. 149 – 197

(9)    Mit Bezug auf das 2. Buch Mose, bes. Kapitel 2 und 5

Umfang: 116 Seiten, Sämtl. Schriften Band 6.

Überliefert in Böhmes eigener Handschrift (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel). Zur Zeit beste Ausgabe: Jacob Böhme: Die Urschriften. Herausgegeben von Werner Buddecke. Zweiter Band. Stuttgart-Bad Cannstatt: Friedrich Frommann Verlag, 1966.

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